The Novel
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Satyrischer| ROMAN| Der| Galanten Welt| zur vergnügten Curiosité| ans Licht gestellet| Von| MENANTES.| Erster Theil.| [line of typographical ornaments]| Stade/| In Verlegung Hinrich Brummers.| Anno M. DCC. X.
[2 pts. sep. pag.] 1: frontispiece [copied from first edition (1706): galante Herren am Meer; in den Wellen: Boot mit Satyr, der ein geflügeltes Nymphenwesen bei der Schwanzflosse packt; im Hintergrund: antike Schiffe]/ black and red title page/ [8] pp. preface dated: Freudenthal, 19 Sep. 1709; signed: Menantes/ p.[1]-208./ 2: black and red title page "ander Theils"/ [2] pp. preface signed: Menantes/ p.[1]-144./ 8°.
{11: Yp.42444} {32: 14,7:2.e} {Wroclav BU:}.
G. Dünnhaupt (1990-93), p.2197: 13.2.
Hunold, Christian Friedrich (1681-1721).
Cf. Satyrischer Roman (Hamburg: B. Wedel, 1706).
Title: "Satyrischer Roman"; p.)(r: "Tractat".
Vorrede mit Blick auf den Skandal der Erstausgabe, die gegen "gewisse" weibliche Personen mißinterpretiert worden sei. Menantes wollte nur Untugenden angeprangert haben. Mitleid, nicht irgendein Zwang, bewege ihn, nun zu kürzen. - Thl. 1 der Roman von 1706 [Selander wird jedoch ein vorehelicher Beischlaf gestrichen; die Skandal-Chronik gegen eine Komödie eingetauscht, in die eine Außenstehende verkleidet eingreift; Personen sind umbenannt und auch zusammengelegt]. Tyrsates und Selander entdecken von diversen Liebesgeschichten die lieber geheimgehaltenen Seiten: zu Salaugusta [Weißenfels] der Causabona heimliche Befriedigung am gleichen Geschlecht. In Lindenfeld [Leipzig]: Sudenten-Kultur 1: p.50: samt deren Gebrauch von Romanen; in Venedig [Hamburg]: Amouren des Opern-Frauenzimmers. Vor dem eigenen Glück müssen die Herren Treue erfahren und beweisen. Düster ausgestaltet: die fast scheiternde Liebe zwischen Selander und Sylvia; sie starb dahin, da sie auf ihn, den sie liebt verzichtete, eine keusche Freundschaft aus Kindertagen band sie noch. Thl. 2 zu Elbipolis [Hamburg]: Tyrsates heiratet Asterie, Mordanschläge eines Nebenbuhlers. Selander ist mit Sylvia verheiratet, diese treibt es mit dem, der in Thl. 1 schließlich auf sie verzichtet hatte und dann angeblich gefallen war. Tyrsates bringt allen Beteiligten sein Wissen um das Geheimnis mit Erzählung einer Geschichte bei, in der eine, ein ebensolches Geheimnis veröffentlichende Binnengeschichte erzählt wird. Ausgeklügeltes Ertappen der Ehebrecher. Opern-Klatsch. Abruptes Ende, da alle Bücher ein Ende haben müssen.
Neue Vorr. Der Roman sei nie auf gewisse Personen gemünzt gewesen, sei gegen solche von anderer in übler Interpretation des Autoris gewendet worde. Die Neuauflage sei, solche Mißinterpretationen zu vermeiden, gekürzt und verbessert, niemand habe dabei Druck auf den Autor ausgeübt - die Überarbeitung geschehe aus purer Compassion mit der Unschuld der fälschlich angegriffenen.
DErselbe wird eine gantz andere Vorrede vor diesen Satyrischen Roman finden, als sie vor viertehalb Jahren gewesen, und die Ursache ist, weil den Roman selber geändert. Es sind wohl über keinen Folianten so viele und mancherley Erklärung gemacht worden, als über diesen kleinen Tractat, und ich würde der curieusen Welt ihre Belustigung nicht mißgönnen, wenn nicht dadurch der Unschuld einiger Personen zu nahe getreten worden. Solche|<1,)(r/v> nun hätte eher gerechtfertiget, wenn dieser Roman eher wieder aufgeleget worden. Denn ich halte dieses vor den allervernünfftigsten Schluß, diejenigen vor unschuldig zu schätzen, die in der Intention des Autoris unschuldig sind, und die von den Leuten nicht anders als durch übele Interpretation des Autoris Gedancken vor schuldig geachtet werden. Meine Gedancken waren einige Fehler der Menschen, nicht aber Frauenzimmer, an denen ich diese Fehler niemahls gemercket zu corrigiren. Und zu dem Ende gedachte in der ersten Vorrede ausdrüclich, daß ich nur gewisse Laster, nicht aber gewisse Personen mit meiner Critiqve anzugreiffen intendire. Nichts desto weniger muste ich vernehmen, daß einige passionirte Leute, vielleicht zu Ausübung ihrer eigenen Jalousie und Rache, was ich ins gemein von den Lastern gesagt, auf gewisse Personen zu deuten, und mir nicht allein eine gantz andere Intention|<1,)(v/)(2r> an zu dichten, sondern mich auch zum Werckzeuge, ihrer unbilligen Passionen zu machen suchten. [...|<1,)(2r,v>]
Allein wie ich meines Theils zu redlich den geringsten von der Welt, viel weniger unschuldigen Personen Tort zu thun, und anderes Theils viel zu gewissenhafft, andern in ihrer Unart und Medisance zum Prætext zu dienen: Also habe ich auch alle die bißhero mißgedeutete Passagen weg thun, und hiedurch öffentlich bezeugen wollen, daß diejenigen, die meine Redens-Arten auff gewisse Personen appliciret, sich in ihrem Argwohn betrogen, und mir n meiner Intention Gewalt angethan, wo von ich der allerbeste und allergewisseste Zeuge seyn kan. [...|<1,)(2v/3v>]
Man muß aber nicht meynen, als ob dadurch dem Roman selber an Lieblichkeit etwas entzogen worden. Ich versichere, daß er vor edle Gemüther mehr Ergetzen bey sich füh-|<1,)(3v/4r>ret, als die erste Auflage. Zumahl, da ich das beste darinnen gelassen, und das schlechte nur verbessert.
Endlich will ich dem Hochgeneigten Leser noch dieses zu bedencken übergeben: Vier Jahre sind es, da dieser Roman zu ersten mahl an das Licht kommen. Wenn ich unter der Zeit nicht Compassion mit der Unschuld derjenigen Schönen getragen, die man vor schuldig hielte, so hätten ihre aus Eyfer vor ihre Honneur, und aus einer kleinen Ubereilung wider mich gebrauchte Douçeurs mich bewogen, inzwischen die Feder wider sie zu führen. Denn davon hat mich keine Gewalt noch Furcht abgehalten. Ich habe eben das Gemüth und eine grössere Freyheit als vormahls gehabt. In dieser Freyheit lebe noch, und schreibe also, nicht aus Consideration, die ich einer Person, sondern die ich der Tugend und mir selber schuldig bin. <)(4r>
KAum hatte Tyrsates, der auf Abentheur im Lande herum zog, die schöne und fruchtbare Gegend erreichet, wo die Saale sich mit der Schiffreichen Elbe vermählet, als von den Meißnischen Gräntzen ein Murmeln oder Gethöne sich in den Lüfften hören ließ, das ihm sein gleichsam fliegendes Pferd in Zaum zu halten bewog. Er gab diesem ungewöhnlichen und Lamentablen Geräusche aufmercksames Gehör, [...] <1: p.[1]>
Er erhielt sein Suchen gar leicht, indem der andere aus einem gehiemen Triebe Tyrsates zu lieben verbunden war, und aus seinem gantzen Wesen schloß, daß sie von einerlei Gemüths-Art seyn würden.
Sie liessen sich beyde auf einem mit frischen Graß bewachsenen Hügel auf dem Ufer der Saale nieder, alwo sie Salaugusta gerade im Gesicht hatten und der Unbekandte wolte eben seine Rede anfangen, als des Tyrsates Diener mit grossem Geschrey herzu gelauffen kam: es sey ein grosses Abentheuer vorhanden [...]
Der Roman lebt von überraschenden Wendungen, von Momenten da der Leser ersteinmal das Falsche unterstellt. Tyrsates - Anagram auf Satyr - der auf Abentheur im Lande herum zieht, kommt in das Land um Salaugusta (an der Meißnischen Grenze, dort, wo Saale und Elbe zusammenfließen, was durchaus weiter weg ist von Weißenfels <1,p.[1]>), er trifft Baron Selander von Amalienburg <Name 1: p.13>, der gerade am Fluß sitzt und weint, ob der Schuld am Tode seiner Geliebten. Tragik scheint angekündigt, doch nach der einfühlsamen Adresse schiebt der Angesprochene alle Trauer beiseite und zeigt sich aufgeräumt. Zu einer Erklärung kommt es noch nicht. Aus einem Gebüsch schreit eine junge Dame um Hilfe. Mit dem Diener des Tyrsates (von dessen Anwesenheit bis hierhin noch nichts zu bemerken war - und der auch fortan wieder in Unerwähnbarkeit versinkt), eilt man an den Ort, an dem man, nach den Wortwechseln zu urteilen, Zeuge einer Vergewaltigung werden wird - man tut mithin sein Bestes, Fulvien von Castrato zu befreien. Der junge Mann erweist sich allerdings als einer von ganz und gar akzeptabler Conduite. Tatsächlich ist es Fulvia, 19, die ihre Jungfernschaft einbüßen will, während der Herr dem Ansinnen widersteht (daß er es tut scheint scheint gleichwohl etwas außerhalb der Conduite, wieso sonst der Name Castrato?). Ich zitier Castratos Argumentation, sie zeigt auch, unter welchem Stand wir uns hier befinden:
[...] er sey nicht weniger von Adel als sie, gebohren: es würde ihm nach geschehener Sache so wenig möglich seyn, sich alsofort zu einer völligen Heyraht zu entschliessen, als seines Vaters Consens hierzu zu erhalten; wenn nun, teutsch heraus zu sagen, aus solcher gezwungenen Lust vor der Zeit etwas erfolgte, was wurde beyden Geschlechtern nicht vor eine Unehre zuwachsen.
Tyrsates und sein Gefehrte sahen einander über diese Reden lachend und verwundernd an, und wusten nicht ob sich dieser dem Ansehen nach nicht unverständige Cavalier mit Fleiß närrisch stellte, oder was es sonst bedeuten möchte [...] <1: p.7>
Erst als die Fulvia ihre Klagen offen wiederholt, schenken die Herren Castrato Glauben, daß er die Dame nicht habe "nohtzüchtigen" wollen. Fulvia eilt davon, ihre Lust <1: p.11> an der Causabona zu befriedigen. Wieder ein neues Rätsel, denn Causabona gilt in der ganzen Stadt als Dame von Tugend - jeder Heirat abgeneigt. Wieder ist ein Geheimnis zu lüften, die drei Herren lüften es auf die ihnen eigentümliche Art: ertappen Causabona in einem Gartenhäuschen, alldort mit Fulvien beschäftigt. Ich zitier die Stelle, sie ist eine der typischen Voyeur-Stellen:
Selander und Castrato giengen schon voraus, da der curiöse Tyrsates die Treppe des Garten-Hauses hinauf schlich, und sich mit dem Gesichte an eine Ritze lehnte, die die Hitze der Sonnen in der Thür gemacht. Die andern sahen sich kaum um, als sie gewahr wurden, daß er die Hände zum Zeichen eines besondern Abentheuers in die Höhe hub, und sie mit Wincken und Geberden nöhtigte, sich gleichfals gantz sachte herbey zu fügen.|<1,18>
Damit ließ er einen nach den andern an seine Selle treten, und setzte beyde in solch Erstaunen, das fast grösser, als das seine war. Ihre Verwunderungs-volle Blicke forschten unter sich, was bey einem so nie erlebten Handel zu thun, und die Verwirrung über einen in aller Welt nie vermutheten und verzweifelten Streich, war unter ihnen so groß, daß sie sich eine gute Zeit nicht entschliessen konten, sondern immer von neuem durch die Spalte der Thür guckten.
O ihr Götter! fieng Castrato sachte an, was sehe ich? Causabona! Sind das die Mittel vor die Ungedult! wir müssen anpochen sagte Tyrsates; und so bald war es auch gethan, worauf, wie sie durch die Ritze beobachteten, Causabona und Fulvia, die auf einem Ruh-Bette lagen, wie der Blitz ineinander fuhren.
Sie konten sich leicht vorstellen, daß bey dem ersten Anpochen man nicht aufmachen würde, darum fuhren sie noch zwey, drey, und mehrmahl fort; und da auch dieses nicht helfen wolte, ruffte Castrato: Ihr liebsten Kinder macht doch auf, man hat uns schon gesagt, daß ihr drinnen seyd.
Sie konten gar eben die erbitterten Miene sehen, mit welcher sich Causabona zusammen raffte: Nu wer ist den da? fieng sie anzufragen, dero ergebenster Diener, antwortete Castrato, welcher um Vergebung bittet, daß er sie aus ihrer Ruhe gestöhret, und doch das Glück möchte haben, bey einer so charmanten Person zu seyn. <1: p.18>
Causabonas Versuche, ihn abzuwimmeln bleiben erfolglos, noch mehr erstaunt sie, als sie ihn in Begleitung der beiden anderen Herren sieht, die nun ihre Complimente abstatten. Die Conversation verläßt das Complimentieren, da Selander die Damen in die Enge treibt:
Alein um den Ziel näher zu kommen, worauf diese beyde Fräulein im wachenden Schlaf ihre Seuffzer gerichtet, so erwartete Selander ihre Antwort nicht, sondern fuhr im Fragen fort: Ob sie wohl geruhet, und was artige Träume eine so artige Person gehabt. Mit Verlieb-|<1,20>ten bin ich zum wenigsten nicht geplagt, gab Causabona mit einer so spröden Mine drauf.
Und dennoch, erwiederte Selander, habe ich diese Nacht von ihnen einen nachdencklichen Traum gehabt, der mich das Gegentheil überzeuget, denn sie kamen mir in der Leibhafften Gestalt des Cupido vor, welcher den Köcher umgürtet, und einen scharffen Pfeil dem Fräulein Fulvien recht ins Hertz stach. Ich beklagte mich, daß es ja wider die Natur, daß ein Frauenzimmer, das andere dergestalt verwunde. Sie gaben mir aber zur Antwort: Daß die Pfeile in dero Augen nur vor die Manns-Personen, dergleichen aber als ich gesehen vor die Fräulein wären, mit der sie mehr Mitleiden als die Manns-Personen hätten.
Uber ein so schalckhafftes Gleichniß, dadurch ihnen Selander die Wahrheit vollkommen gesagt, musten sich Tyrsates und Castrato in die Zunge beissen, um nicht überlaut zu lachen; Causabona hergegen zog die Stirn zusammen, und verkehrte die Augen trefflich; und Fulvia schien wegen offtmahliger Veränderung der Farben, natürlich, als ob sie in ihrem Gesichte eine kalte Schaale von Butter-Milch und Erd-Beeren vorstellen wolte.
Hiebey mag sich ein kluger und erfahrener Leser selber einbilden, was vor eine lustige Comoedie es mit diesen beyden ungewöhnlich keuschen Frauenzimmern gegeben. Wir könten nicht mehr sagen, als daß, wenn jemahls Träume eine natürliche Deutung gehabt, dieser vollkommen von dergleichen Art gewesen, in dem Selander, den in Schlaf gesehenen Pfeil bey Causabonen unverhofft mit der Hand erwischte, den sie viel-|<1,21>leicht zu sich gesteckt, um sich über die Liebe zu moqviren, und mit solchen Sachen gleichsam wie mit Kinder-Possen umzugehen. <1: p.21>
Die Geschichte reicht aus, um Causabona zu erpressen, sie hatte Selander abblitzen lassen, nun jedoch kann er sich ein Rendevous auserbitten. Eine Gunst, die die Herren nicht davon abhalten wird, ihren Ruf noch komplett zu ruinieren.
Die Nacht darauf setzte es bey Selandern und Tyrsates gantz andere Glossen, als sie die vorige gemacht, denn nunmehro wusten sie, durch was vor einen Schlüssel in die Vestung der Liebe bey Causabonen einzubrechen. Das artigste war, daß sie den andern Morgen eine Suppliqve bey der Venus im Nahmen der sämtl. Cavalier und Ritterschafft eingaben, darinnen sie den unbilligen Eingriff des Frauenzimmers ins Männliche Amt, und dergleichen Ausschweiffungen mehr beklagten.|<1,22>
Allein diese kurtzweilige Arbeit, dadurch sie so abscheuliche Laster mit lachendem Munde durchzogen, verwandelte sich bald in eine ernsthaffte Betrachtung der unanständigen Wollüste dieser Welt <1: p.21-22>
<1: p.22> Gelegenheit für einen Umschwung des Tons und eine fast programmatische Debatte über die These, daß die tugendhaften Damen sich nur mit dem Anschein der Tugend schmücken, um dahinter umso ungenierter agieren zu können. Jetzt endlich wird des Selander Geschichte erzählt <1: p.25-31>; seine Dame starb nur moralisch, sie hatte ihn, Selander zwar erhört, doch es gleichwohl mit einem anderen getan - eine Angelegenheit, ob derer Selander, der die Dame samt Amant ertappt hatte, dem Nebenbuhler das Gesicht zerschnitten hatte. Er macht sich Vorwüfe, diesen Fehltritt der Geliebten, und damit ihren moralischen Tod, nicht verhindert zu haben.
Die Geschichte hat einen interessanten Geschlechter-Differenzierenden Ausklang in der üblichen Debatte, welches das treuere Geschlecht sei - das weibliche sei das unkonstantere, so Selander:
[...] Es liebet zwar hefftiger als wir, allein dadurch wird es mehreren Schwachheiten und der Veränderung eher unterworffen.
Wir sind viel ernsthaffter, sie aber viel weichlicher vom Gemüth: Wir sehen in der Liebe viel auf was Estims-würdiges; sie aber mehr auf die Zärtlichkeit, und was nicht wohl den Verstand als das Hertz zu rühren fähig ist: Dahero ist ein allgemeiner Irrthum: Geliebt zu werden, sey ein Beweißthum unserer Meriten; denn wo man alle glückselige Amanten auf die Waag-Schaale legte, so würde die Zahl der Hasen oder wenig vernünfftigen ohnfehlbar den Ausschlag gewinnen.
Das Tugendhaffteste Frauenzimmer besitzet mehrentheils die Eitelkeit, galant zu seyn; Was suchen sie dadurch? nichts anders, als der Welt zu gefallen. [...|<1,33>] Darum gleube durchaus:
Daß nichts als die Vermeidung der Gelegenheit honnetes Frauenzimmer darzu mache, was sie durch ihre Natur oder Temperament nicht sind. <1: p.32-33>
Der Dialog verläuft noch weiter und betrifft dann auch die Männer, die natürlich kaum durchweg vernünftig sind. Die Kompromißformel ist eine Ehe, in der statt Eifersucht der Mann mit Vertrauen und eigener Keuschheit liebt:
Das Mißtrauen oder die Eyfersucht dienet nicht, eine Frau Keusch, sondern vielmehr behutsam zu machen, ihre Intriguen desto heimlicher auszuführen: Das eintzige Mittel, in einer Frauen die Keuschheit zu erhalten, ist ein gutes Vertrauen und die selbst eigene Keuschheit des Mannes. <1: p.35>
<1: p.36-43> Tyrsates schiebt (Verteidiger des Frauenzimmers, obwohl er fernerhin mehr denn Selander dessen Verächter ist) eine Geschichte nach: Ein Kaufmann zu Lindenfeld (Leipzig) betrügt seine Frau und diese daraufhin ihn. Ein aufmerksamer und an der Kaufmannsgattin nicht uninteressierter Student bringt sich in die Bekanntschaft des Paares und erpreßt auf einem kleinen Fest öffentlich die Dame des Hauses (er beginnt, ihr den Seitensprung aus der Hand zu lesen), sie signalisiert, daß der Handlesende ihren heimlichen Galan einmal vertreten dürfe. Der mißtrauisch gewordene Kaufmann entdeckt das Stelldichein jagt den Studenten davon und droht, seiner Frau, sie zu vernichten. Ihr bleibt es, sich zu einem Kollegen ihres Mannes zu retten und diesem zu offenbaren, daß ihr Mann nicht tugendhafter ist als sie selbst; Umstände, unter denen der Gatte darauf verzichtet, seine Frau öffentlich bloß zu stellen. Das Paar lebt fortan glücklich zusamen.
<1: p.43> Selander und Tyrsates fahren nach Lindenfeld und quartieren sich in einem Gasthof ein. Des Tags müssen die beiden sich einer von zweien Gruppen zugesellen, des Nachts wird ein eigenes Zimmer frei. Insgesamt gibt es im Gasthof drei Gruppen: Studenten aus Jenona (Jena), sie rauchen, trinken und sitzen gesellig beeinander; Studenten aus Lindenfeld, sie pudern und schminken sich, und lernen die Komplimente aus Talanders Romanen auswendig, um sie beim Frauenzimmer anbringen zu können.
Wie sie nun in dem nähesten [ersten Zimmer] eintraten, zog ihnen ein starcker Geruch vom Toback engehen; und ob gleich ein gantzer Tisch voller Personen saß, welche bey ihrem|<1,44> Schmauchen zugleich spielten, konten sie doch selbige vor den Dampff kaum erkennen. [...] Denn an dem Fluchen, Spielen, und der nachläßigen Kleidung hätten sie solche vor Soldaten halten sollen; Allein weil manchmahl Lateinische Wörter mit unterlieffen, und ein gelehrtes Urtheil mehrentheils von lustigen Sachen gefället wurde, blieben sie, wegen der Condition, dieser ohngefehr 24. Jährigen Herren, zweiffelhafftig.
Der Haus-Wirth, führete sie demnach auf ihr Verlangen in ein ander Zimmer, wo sie einen so schönen Geruch vom Pouder und Jesmin empfunden, als ob sie bey der Frühlings-Zeit in einen Apothecker Garten gekommen; Wie denn sechs Pouder-Büchsen, und etliche ausgeleerte Jesmin-Gläser noch auf dem Tische stunden, und die Herren, die sich damit accomodirt, bey dem Eintritt unserer zween ansehnlichen Cavaliers recht bekümmert waren, ehe der Haus-Knecht alles wieder abgekehret.
Inmittelst machten sie denen Unsrigen viele verpflichtete Complimenten, daß, weil es ein Wirths-Haus, wo man keine besondere Gelegenheit sich zu bedienen hätte, sie ihnen, diese wider Willen verursachte Incommodité, pardonniren möchten. <1: p.44>
Der Ton ist so artig, daß es schiene, als ob sie unsere beyde Cavaliers examiniren wolten, wie fleißig sie die Complimenten-Bücher durchstudiret.
Inzwischen sich nun welche in der Schule der überflüßigen Höflichkeit mit unsern beyden cavalieren excercirten, giengen welche in der Stuben auf und nieder, und sungen theils ein Frantzösisches Liedgen, theils eine verliebte Arie aus der Opera: ein anderer stund vor dem Spiegel, und raufte sich mit einem kleinen Balbier-Instrument die Haare aus dem Barte, worüber sich unsere beyden Cavaliers zum höchsten verwunderten, weil dieser junge Herr schon vorhin mehr einen Milch-als Männlichen Bart hatte. [...]
Was sie aber zum Lachen verbeissen noch stärcker nöhtigte, war, daß noch ein anderer, gleichsam unvermerckt, einen Brief aus der Taschen zog, und wenn er solchen geküßt, die Augen geschwind und furchtsam auf sie wendete, ob sie auch solches wahrgenommen. [...]
Allein mit der Zeit erweckten ihnen dergleichen Sa-|<1,46>chen einen Eckel, und sie empfunden einen Widerwillen, in grosser Leute Gesellschafft zu seyn, die ihre seltzame Gemüths-Bewegungen so wenig verbergen konnten. <1: p.46>
Die beiden verlassen das Zimmer, bevor sie "mit Complimenten zu Tode bombardirt" werden und treffen versteckt eine Person, die murmelt,
als ob sie eine Predigt auswendig lernen wolte. In solcher heiligen Arbeit jemanden zu stöhren machten sie sich ein Gewissen [...] <1: p.46>
Man hört gleichwohl etwas genauer hin und vernimmt <1: p.46-49> einen Dialog von Liebeseröffnungen - zu lang, ihn hier zu zitieren - er endet zur Erheiterung der Lauschenden mit einem Bekenntnis der Zufriedenheit und dem Apell, das ganze nun zu wiederholen, die Rede beginnt von vorne.
Tyrsates und Selander fingen hier erschrecklich an zu lachen; und der andächtige Amant wurde so beschämt und verwirrt, Leute so nahe bey sich zu wissen, daß er über Hals und Kopff fort lieff, und sein gantz Concept von Complimenten liegen ließ, welches sie hernach bey Eröffnung der Thür fanden, und ein Excerpten-Buch von allen Complimenten aus des Herrn Talanders Romanen in die Hände kriegten.
Dergestalt war ein eintziger verliebter Kerl hinter der Thür, wo sie eine gantze Gesellschafft vermeynet, und Zeit ihres Lebens hatte sie niemand seltzamer betrogen, als eine Person, die sie durch die Liebe des Verstandes beraubt hielten; und die ausser eines Manns-auch eine Frauens-Person mit der Stimme vorgestellet. <1: p.50>
Eine der Stellen die Roman-Rezeption belegen. Es gibt noch ein drittes Zimmer, in diesem ist ein Haufen junger Burschen damit beschäftigt, die Sachen der Herren aufzumöbeln: die Diener, sie machen sich auf Kosten der Herren an Sekt und Galanteriewaren lustig. Das Frauenzimmer in Lindenfeld ist wenig elegant, ergeht sich in platten Redensarten. Im Gasthof zurück fällt Selander gerät in einem falschen Zimmer des Hauses an die Frau, die ihn für den Studenten hält, der mit Talander-Rezitation bereits am Nachmittag brilliert hatte. Selander kann sie nur mit überflüssigen Excrementen versorgen und ist froh daß sie nicht weiß, wer er ist. Beim zweiten Klogang fällt Selander einen Studenten aus Jenona in die Hände, der ihn für die Hausmagd hält. Ich zitiere vom ersten Besuch, hier wird das Bett herausgekürzt, welches in der Ausg. 1706 noch klarstellte, daß Selander die Dame heimsuchte und sie nur dabei beschmutzte. 1710 begnügt sich Selander mit der puren Beschmutzung - daß er es mit der Dame trieb, kratzt wohl an seinem Charakter - sie hat ihn mit einem saftigen Kuß empfangen:
Daß es ihm nicht angenehm gewesen, hat er dem Tyrsates hernach zu geschworen; und ob er sich gleich loß wickeln wolte, umfaßte ihn doch dieser verliebte Nacht-Engel sehr fest; doch aus Noht muste er gewaltig unhöflich seyn, denn weil sie ihn nicht wolte gehen lassen, so entfuhren ihm solche nohtdürfftige Caressen, welche dem Frauenzimmer vermuhtlich keine appetitliche Ruhe geschencket
Daß es ihm nicht angenehm gewesen, hat er dem Tyrsates hernach zugeschworen; und ob er sich gleich loß wickeln wolte, umfaßte ihn doch dieser ver-|<63>liebte Nacht-Engel so fest, und schiene selber handgreifliche Discourse bey Selandern anzufangen, daß er theils aus Noth, und theils ihr einen Possen zureissen, sich ihres Bettes zu etwas bediente, und solche nohtdürftige Caressen hinterließ, welche dem Frauenzimmer vermuhtlich keine appetitliche Ruhe geschencket.
Selander und Tyrsates gehen nach Venedig. Ortswechsel sind permanent möglich, Vorplanungen unnötig. Der Autor übergeht <1: p.58> in Einverständnis mit seinem Leser alle langweiligen Fakten der Reise. Man besucht die Oper. Dort ist man zuerst ob der Kunst der Musik und der "Actiones" erstaunt, dann aber irritiert, daß Zugaben auch bei schlechteren Darbietungen verlangt werden - und erfährt, daß die Beliebtheit der "Theatralischen Göttinnen" oder "Opern-Personen" die Gunst des Publikums bestimmt.
Sie fanden auch in diesen Opern oder der Music vielmehr, was sie ungemein ergetzte, und wenn die Stimmen des Frauenzimmers auf dem Theatro nebst ihrer Kunst an sich unvergleichlich, so würde solche Lieblichkeit durch die Schönheit und Actionen derselben noch mehr recommendiret.
Sie besuchten selbige gar vielmahl, und klatschten mit den Händen, und rufften das encour una volta getreulich mit, wenn Zuschauer ihr Vergnügen über eine solche Arie bezeugen, oder selbige noch einmahl hören wolten.
Allein sie wunderten sich bald darauf, da das Hände-Klatschen so gemein ward, und man auf solche Art was rühmte, welches nicht eben ausserordentlich, sondern sich noch wol halten ließ. Weil nun geschickte Leute überall auch gute Bekanntschafft finden, und die Unsrigen einige andere Cavalliere fragten, bekamen sie zur Nachricht: Daß gar viele Leute in der Opera ihre Freude nicht deswegen bezeigten, weil eine überaus gefällige Arie gesungen worden, sondern weil sie eine Person gesungen, die ihnen überaus gefällig; Also wären es mehrentheils Amanten, welche von dem|<1,60> Opern-Frauenzimmer samt ihrem Verstande bezaubert worden [...].
Ja es gab zuweilen einen kleinen Streit oder heimlichen Verdruß, den man ihnen doch aus den Augen und Geberden lesen konte, wenn andere ein Opern-Frauenzimmer dergestalt ehrten, der sie nicht gut waren, und hingegen bey einer Arie ihre Maitresse stillschwiegen. [...] <1: p.60>
Ein wesentlicher Diskurs gilt der Keuschheit des Opern-Frauenzimmers - diese ist von der Natur des Berufs her besonderen Belastungen ausgesetzt.
Es gehöret aber eine ungemeine Heldenmuth des Geistes darzu, alle Tage die allereitzenste Gelegenheit zu lieben zu haben, und nie so empfindlich zu werden, sich der angebohrnen Schwachheit zu erinnern; Ja allezeit durch die annehmlichste Music sein Hertz zur Wollust ermuntern, und nichts als Liebe singen; nichts als verliebte Geberden machen; sich auf die Kunst zu charmiren mit allem Fleiß legen, um denen Zuschauern durch die Action zu gefallen; tausend Schöne, verpflichtete, galante, beredte, reiche und vornehmste Verehrer um sich zu haben, die auf die allersinnlichste Art einen Menschen mit einer wollüstigen Profession gantz umgeben, zu fällen suchen, und dennoch seine Begierden nicht zu stillen, hiesse mitten unter den lieblichsten Geträncken von der Welt, ja mitten unter den wahrhafften Götter-Nectar sitzen, und den grausamsten Durst empfinden, aber seine Seele mit keinem einzigen Tropffen erfrischen wollen. <1: p.61>
Selander verliebt sich erfolgreich in Sylvia [warum wurde hier der Name geändert? sie hieß vordem Arismenia?], eine ranke, große und gerät in all die Kämpfe von erlaubter Nähe und überraschender Zurückweisung. Sie erlaubt ihm schließlich Zusammenkünfte und Liebesgeständnisse. Kleinere Eifersüchteleien von ihr aus bestärken ihn in seiner Liebe.
Tyrsates geht nur zum Scherz auf die Angebote der Damen ein und decouvriert deren Unkeuschheit, indem er sich nicht in die Rolle des Verführers begibt - er läßt sich umgarnen und tut dann in den entscheidenden Momenten zur Qual der Damen gar nichts, auf daß dieses selbst ihrere Verworfenheit an den Tag legen müssen, wenn sie irgendetwas wollen - Strafe genug ist, daß er sie selbst bei dieser ihnen abverlangten Aktivität nicht erhört.
Ich zitier eine nette Passage zum Gefallen - die paßt zum Ideal des aufgeräumten Humeurs:
Denn gefallen ist eine Kunst, welche ein kaltes Blut und eine freye Vernunfft erfordert; Die hefftige Liebes-Neigung aber, die uns eines und das andere benimmt, ist nicht vermögend, die Lehr-Sätze dieser Kunst zu begreiffen oder ihnen zu folgen. <1: p.75>
Die Geschichte wird nur ab und an von Tyrsates-Abenteuern unterbrochen. Briefe und folgender Texteinschub in ihrer Aufbau-Phase:
Da besucht Selander einen Friedhof und schreibt seiner Sylvia einen Brief von der Vergänglichkeit der schlechten Liebe - auf dem Friedhof gemahnen diverse Tafeln an die Schicksale von Liebespaaren, die nicht aus dem einzig guten Grund: Übereistimmung der Gemüter geheiratet haben. Wie paßt dieses Memento Mori? Zumal es am Ende mit der weltlichen Liebe vereinbar wird?
Nach Zurückweisungen und Annäherungen, Abende mit langen Conversationen etc. all dies nicht mit dem gewünschten Erfolg. [hier wird gekürzt: Ausg. (1706), 1: p.113-14 eine Passage, da Arismenia ihn wissen läßt, daß sie ihm lebenslang gut sein wird.]
Der Verlauf hätte sich in Zorn entwickeln können, doch die Tendenz geht in eine besondere Leidensform unter der Selander am Ende kläglich abzieht. - Hier liegen einige Erstaunlichkeiten des Romans - u.a. ein langer Liebesbrief Selanders an Sylvien <1: p.141-46> im Stil weit chaotischer als jeder Briefsteler ihn zuließe - ich zitiere etwas aus ihm:
Ich seuffze, da mit andern auf eine verhaßte Art lachen muß, und dieser unaussprechliche Zwang raubt mir fast das Leben. Man lässet mich kein Augenblick allein, um mein Hertz von der Qvaal nur etwas zu erleichtern, und Stunden von jemanden zu opffern, dessen Jahre ihnen allein gewidmet. Ach Madame! auch die Träume sind beschäfftiget, mich zu kräncken. Ich stehle mich weg, daß nach meinem Bette komme, um meinen Gedancken Audientz zu geben, und da schreibe ich, wie Sie sehen, so schlecht. Unter unendlichen Seuffzen, unter tausenden verwirrten Betrachtungen, ob meine Liebe ewig glückselig sein werde, und unter unzehlbarer Verehrung meiner unvergleichlichen Sylvien schlaffe ich ein. Umarme ich meine Sylvia nun, als vormahls gegenwärtig und in der schönsten Gutheit vor mich, so werde ich halb rasend, wenn ich frühe das Küssen nur umfast! Und stellet Sie|<1,144> denn ein Traum mir abwesend vor, wie es in der That ist, so habe des morgens, wann mich die übrigen aus der langen Ruhe, wie sie sagen, wecken wollen, genug zu thun, die in meinen Augen stehende Traurigkeit vor eine Würkung des Schnuppens auszulegen; [...] <1: p.143-44>
Der Brief geht bis zum Geständnis, daß er in ihrer Abwesenheit Erleichterung im Besuch anderer Frauenzimmer gesucht und nicht gefunden hat - welches Geständnis zwar nett doch strategisch nicht sonderlich klug sein mag.
Beim nächsten Besuch zeigt sie sich dennoch zurückgezogen und hieran anschließend kommt es zu einem interessanten Gespräch zwischen Tyrsates und Selander - ersterer weiß, warum die Dame ihn abweist und fragt nun gezielt soweit, daß er ihm die Gründe dafür offenbaren kann - dabei tritt eine erstaunliche Zurückhaltung Selanders im Verfolg der eigenen Ziele zu Tage, eine Zurückhaltung, die fast an ein empfindsames Verzichtsmoment heranragt:
Hat ihnen denn, fragte Tyrsates, Sylvia die ewige Treu versprochen, und sind sie mit ihr bis auf eine Vermählung verbunden? Mein werthester Tyrsates, gab Selander hierauf, mein Wunsch ist zwar allezeit so weit gegangen; Aber nachdem ich mehr aus ihrem Wesen als Reden wahrgenommen, daß sie mir so viel nicht sagen wolle oder könne, so habe auf keine Sache weiter dringen wollen, die ich allezeit geglaubt, daß man sie mit volkommenen und freyen Hertzen verschencken müsse.
So seyn sie denn in einem Stücke noch glücklich, antwortete Tyrsates; Und als ein vertrauter Freund bey ihnen zu handeln, so hat sich Sylvia mit ihnen in keine Vermählung einlassen können, nachdem sie mit einem gewissen Obristen vor langer Zeit ein Bündniß eingegangen, ein ander auch in dem ledigen Stande lebenslang zu lieben. <1: p.149>
Der Obrist nun komme nach Venedig und hier nun solle Selander über sich selbst urteilen, ob ihn eine Ehe mit Sylvien überhaupt glücklich gemacht hätte - der Apell geht nicht dahin, daß Selander (s)eine besondere Sensibilität, bedenken solle, die es ihm unmöglich machte, unter solchen Bedingungen glücklich zu werden - oder besser: die zu bedenckende Sensibilität ist nicht die der `Empfindsamkeit' - es ist nach wie vor die der Ehre und des Selbst-Estimes:
Aus diesem allen urtheilen sie nun, ob sie jemahls in dieser Liebe werden glücklich seyn? Ich kenne ihr Gemüht, daß überaus edel zu lieben geschickt, aber allein unvermögend ist, den geringsten Eintrag zu leiden. In einer erfolgten Heyraht würden sie bey allem ihren Ergetzen tausenderley verdrießliches Nachsinnen haben, ob Sylvia den Obristen nicht mehr liebe, als man ausser der Ehe thun solle, denn man kann alles vergessen ausser allein diejenige Beleidigung nicht, die nimmermehr kan ersetzt werden. Sie haben einen edlen Ehrgeitz, und wür-|<1,150>den ihr Leben nicht vor den Schimpff achten, wenn einer sich von derjenigen sich was wie Ehre rühmen könnte, mit der sie alle ihre Ehre lebenslang theilen wollen. <1: p.149-50>
Das Gespräch führt nicht in einen Zornes-Ausbruch:
Allein Selander antwortete: Sie bemühen sich nicht, mein wehrter Tyrsates, mir mehr Gründe beyzubringen; Ich kenne mein Verhängniß im Lieben, und wie es allezeit grausam gegen mich ist; [...] <1: p.150>
Selander begibt sich in eine Assemblé, allwo er Sylvien sehen kann, er läßt sich nicht anmerken, was er vom Grunde ihrer Weigerung weiß, weiß mithin mehr von ihrem Geheimnis als sie ahnt und fragt sie schließlich, da er von ihr die Gunst erhält, sie nach Hause begleiten zu dürfen, aus welcher Ursache heraus sie kühler gegen ihn geworden ist:
Sie antwortete: Daß sie keine andere wüste, als weil sie aus gewissen Umständen, die sie ihm nicht sagen könne, eine Liebe zwischen ihnen in einem andern Stand nicht vor glücklich oder möglich schätzte, ob sie es gleich wünschte: Darum solte er sich befriedigen lassen, daß sie ihm eine eine ewige und treue Freundschafft hiermit verspräche, und solche Lebenslang zu halten wolle verbunden seyn.
Selander nahm dieses Anerbieten mit verpflichtetster Dancksagung an, und versicherte im Gegentheil, daß er eher ersterben, als die Gutheit vergessen würde, die er von einer so Liebens-würdigen Person genossen, und solte es ihm hinführo sein Vergnügen seyn, ihr in dem Character der Freundschafft durch alle ersinnliche Dienste die Ergebenheit zu zeigen, welche er ihr, wenn es dem Himmel gefallen, durch die honneteste Liebe weisen wollen. <1: p.151>
Die Szene bricht an dieser Stelle nicht ab. Selander bringt stattdessen das Geheimnis auf die nächste Stufe, er gibt zu erkennen, daß er es kennt, sie hinwiederum weicht nicht aus und bestätigt, was er erfahren hat. Sie geht einen Schritt weiter und weigert sich die bestehende Beziehung zu Selander eine "Liebe" zu nennen:
[...] doch wollte sie auch nicht sagen, daß es eine Liebe, weil sie sonder Verletzung ihrer Tugend das keine Liebe nennen konnte, die niemahls auf eine tugendhaffte Manier vollzogen würde, und gab dem längst ver-|<1,152>trauten Verständniß mit ihm den Nahmen einer Freundschafft.
Selander wendete nichts darwider ein, und begnügte sich bloß damit, ihr ein edles Gemüth sehen zu lassen, indem er sie mit der höflichsten und verbündlichsten Art bediente, und auch so abschied von ihr nahm. <1: p.151-52>
Versuche, sie nochmals zu sehen scheitern - zuletzt auch durch ihn selbst. Ein seltsames Detail beherrscht seinen vorletzten Brief: die Bitte, er müsse seine Briefe nicht in der Fremde zurücklassen:
Aber eine Bitte werden mir Madame nicht versagen, ob mich gleich schäme, solche vorzubringen; Wenn sie aber meinen Zustand erwegen, so hoffe nicht, daß sie darüber zürnen werden. Was ist ihnen mit den Briefen und Versen eines Unglückseeligen gedient? [...] Nur dieses muß als eine Schwachheit von mir erwehnen, daß sonder meinen geschriebenen Sachen|<1,155> anderwerts tausendmahl unruhiger leben würde. <1: p.154-55>
Es kommt jedoch nicht mehr zu der Briefübergabe, Sie versucht, ihn noch mal zu sehen, er reist fort ich zitiere den letzten Brief:
Madame.
WEil auch bey dem letzten Augenblick in Venedig an nichts anders als an sie gedencken können, so habe die ihnen gewidmete vollkommene Ergebenheit lieber beobachten, als mich geruhiger wissen, und dieses schrifftliche Bekänntniß zu meinen andern Briefen legen wollen. Dieses Gedächtniß von einer Person, welche mir auf der Welt am liebsten gewesen, nehme nunmehro mit auf die See, und werde mitten unter den Wellen beseuffzen, was anitzo schon bereue; Dieses ist, die wehrteste Sylvia, wenn es auch zu meinen äussersten Unglück, nicht noch einmahl gesehen zu haben, mit der ich noch so unendlich viel zu reden; Und daß mein Verhängniß, indem|<1,157> nun abfahre, mir nicht anders zu sagen erlaubet, als:
Adjeu Madame
Dero ewig verbundener und
unglückseliger
Selander von Amalienburg <1: p.156-57>
Ich zitier die Stelle dieser unbekannten Liebe, weil sie ein Geheimnis der ersten Kategorie zeigt:
Tyrsates, der [...] schon was annehmliches in ihrem Wesen gefunden, ward also durch eine andere Passion noch bewogen, einen verliebten Sturm auf sie zu wagen, und hielte es sich vor eine galante Ehre, wenn er in seinem Suchen nicht unglücklich.
Er trug ihr demnach bey guter Gelegenheit sein Hertz mit der verbündlichsten Manier an: Und was seine Neigung noch hefftiger und beständiger gegen sie machte, war, daß sie ihm eine vollkommene Gegen-Gunst abschlug.
[...]
So gleichgültig er nun in seinem Hertzen bey dieser Amour zu bleiben vermeynet, so sehr betrog er sich in seinem Urtheil, denn er war ziemlich verliebt, und die|<1,163> Merckmahle seiner innersten Neigung, wovon dieses Fräulein eine vollkommene Kennerin, möchten sie nicht wenig bewegen, sich ihm vollkommen zu ergeben. <1: p.162-63>
Die Comödianten-Truppe zu der Jucunda, nicht aber Asterie gehört, ist professionell - in Venedig übersteigen sie den Ruhm anderer Truppen - nur an den der Oper können sie nicht heran:
Sie waren nicht die geringsten, sondern die berühmtesten, und in Venedig in solchem Ansehen, daß ihnen den Theatralischen Præcedentz-Streit niemand abgewinnen konn-|<1,104>te, ausser das Opern-Frauenzimmer, welches wegen ihrer Vertu in der Music den Vorzug hatte. <1: p.103-04>
<1: p.164> Es handelt sich um drei schöne Damen, drei alte Jungfern und drei junge Frauen, die den Beruf gerade erlernen. Die fünf Männer der Truppe können alle Instrumente spielen und Singen.
Das gesamte Stück wird nicht dialogisch eingefügt, sondern in Inhaltsangeben der einzelnen Szenen. Das Spiel gerät in größtes Durcheinander durch Asterie: sie erfährt durch den Diener von Tyrsates, daß dieser da schauspielt. Sie läßt sich ein ebensolches Köstüm schneidern wie Tyrsates es besitzt, - Jupiter - und taucht dann den Donnerkeil gegen die Venus führend in dem Stück zu allgemeinem Chaos auf. Tyrsates beschließt <1: p.171>, sich der Asterie durch Meidung solcher Gesellschaft würdiger zu erweisen.
Asterie soll verheiratet werden, Tyrsates erfährt es per post, da er sich mit anderen auf einer kleinen Belustigung zu Schiffe begibt. Sie bittet ihn nach Ravenna und er beredet den Capitän heimlich die Gruppe dorthin zu schiffen, Kampf mit Türkischen Piraten, bei dem nur Tyrsates übrig bleibt und in Gefangenschaft gerät.
Seltsam ist die ganze Piraten-Aktion, sie gewinnt fast etwas ehrenhaftes, mit einem französischen Leutnant verständigt sich Tyrsates auf seine Ehre, einen Wechselbrif von ihm in Empfang zu nehmen und mit diesem 6000 Ducaten bei einem auch dem Franzosen bekannten Venezianischen Kaufmann auszulösen, dieweil man ihn, Tyrsates nicht nur nach Ravenna brächte, sondern auch alldorten am anderen Tage wieder abholte - all dies auf Ehre - doch dann zeigt sich, daß Ehre auch für Tyrsates ihre Grenzen kennt. Ein Ehrversprechen gegen Piraten nicht einzulösen hält er in Respekt seiner Ehre für verträglich:
Und was den Wechsel anbelangte, darum war er wenig bekümmert, weil alle Obligationes in dergleichen Fällen ungültig, und die See-Räuber ihr Handwerck noch nicht recht verstehen musten, da ihnen dieses unbekannt. <1: p.184>
Tyrsates bekommt in Ravenna Gelegenheit, um seine Asterie zu kämpfen, eine Aktion bei sich alles so possierlich verstrickt, daß am Ende <1: p.190> der Nebenbuhler in die Gefangenschaft just jener Piraten gerät, die Tyrsates gerne gefangen hätten. Alles ist sicher genug Asterie nun nach Venedig zu entführen. Dort wird mit dem einzigen für ihre Verheiratung zuständigen Verwandten Asteriens, ihrem Großvater alles ins Reine gebracht, noch einmal versuchen Anverwandte auf diesen Großvater Einfluß auszuüben, doch des Tyrsates Glück ist an dieser Stelle gemacht; die Geschichte kann sich Selander zuwenden.
Die Angelegenheit erfüllt vor-empfindsame Kriterien: Eine Freundin der Sylvia weiß zu erzählen, wie hochherzig diese doch auf die sie einzig glücklich machende Liebe verzichtete - demnach war von vorneherein der Eheschluß mit dem Obristen unmöglich, die Treue rührte aus Kinder-Tagen. Der Obrist erfuhr in Venedig, daß sie seinetwillen auf eine Ehe verzichtet hatte und nun verzichtet er selbst. Ich zitiere, beginnend mit dem Grund, aus dem Sylvia gegen Selander auf das Glück verzichtete:
[...] die einzige Raison, warum Sylvia in keine Heyraht mit diesem ihr sonst höchst angenehmen Cavallier willigen wollen, sey gewesen, ihn und sich nicht durch eine immerwährende Eyfersucht zu kräncken, nachdem ihm einmahl ein Verdacht wegen der Conversation mit diesem Officier beygebracht worden. Sie habe dahero die höchste Marter ausgestanden, nachdem sie nach ihrem Gemüth vor unmöglich gesehen, ihm die Umstände dieser Sache zu vertrauen, und vielleicht keinen Glauben zu finden, deswegen sie lieber allein als mit einem so edlen Cavallier unglücklich seyn wollen. Nachdem aber der Obrist in Venedig kommen, und [...] erfahren [...] wie seinetwegen eine Heyraht zurück gangen, habe ihn, als einen tugendhafften Cavallier nicht wenig gerührt, daß er die Hinderung an einem so edlen und vergnügten Stand seyn solle, da er sie selber niemahls in solchen setzen könne. Dieser aufrichtige Schmertzen und die Vorstellung, Sylvie werde an ihrer Renomme daurch gekräcket werden, ha-|<1,202>be ihn bewogen, ihr die Tugend seiner Freundschafft auf eine besondere Art zu bezeugen; Daher er sie so lange gesucht, bis sie ihm versprochen, eine Bitte nicht abzuschlagen. Worauf er sie des Eydes der Beständigkeit ihrer Freundschafft erlassen, und ein gleiches gefordert; und da sie damit zu friden gewesen, ihr ein ewiges Adjeu gesagt, sey damit zu Felde gangen, und in einer scharffen Action erschossen worden. Die Betrübniß über eines so guten Freundes Tod, und die Trennung zwischen ihr und Selandern, wären bey ihr sattsame Bewegungs-Gründe gewesen, ihre übrige Lebens-Zeit der Einsamkeit zu widmen. <1: p.201-02>
Diesen Entschluß wiederum hat sie so festgefügt, daß gar niemand mehr ihren Aufenthaltsort kennt.
Wichtig: auch hier ist Ehre ein letzter Beweggrund. Tränen fallen an auf der ganzen Seite keine. Tyrsates bleibt nur eine Weile in Gedancken ob dieser Erzählung.
Die Wiederbegnung Tyrsates Selander wird Ort, da Selander per Zufall auch auf seine Sylvia stößt, die Szene ist ganz anders als jene in der wir Adalie in freier Landschaft ihr Unglück besingend kennen. Selander erzählt die Begenung dem Tyrsates:
Ein paar Stunden von dem Ort, wohin sie mich beschieden, sah ich ein Frauenzimmer in einer Wiesen spatzieren gehen, welche mir von einer so bekannten Statur und Kleidung vorkam, daß mich aus Neugierigkeit näherte. Ich stutzte aber unbeschreiblich, als Sylvia sich umwendete, um zu erfahren, wer auf sie zu reite; Sie sang mit einem lauten Geschrey auf das Grüne, und ich|<1,205> schien vor gewissen Empfindungen, die ich nicht beschreiben kan, auf meinem Pferde geschmiedet, so unbeweglich blieb ich sitzen, bis Sylvia sich ermunterte, und mir aus meinen Augen kam. <1: p.204-05>
Selander ist erst später aus dieser Lähmung erwacht, erfuhr, daß eine Dame unlängst auf einem Gut in der Gegend eingezogen, er gewinnt Zutritt über die Dienerschaft der Sylvia, wieder berichtet er dem Tyrsates:
Aus ihren Reden verstund ich so viel, daß meine Gegenwart Sylvien zu einer Linderung ihrer Betrübniß dienen würde, in welcher sie Zeithero nicht so sehr, als diese Nacht zu ersterben schienen. Der erste Anblick dieser sonst geliebten Person war mir fast tödtlich, indem sie auf einem Ruhe-Bette lag, und|<1,206> so abgegrämt aussahe, daß die mir Liebens-würdigste und annehmlichste Dame kaum erkennen konnte. O Himmel, mein Selander? fieng sie überlaut an zu seuffzen, und schien damit gantz ausser sich selber. Ich eilte auf sie zu, ich küßte ihre Hand, und redete so viel, als ich selber nicht mehr weiß. Ja ich habe sie gesprochen, ich habe vor ihr geseuffzet, sie hat vor mir geweinet, aber keines von beyden unterstund sich, den andern nach der Beschaffenheit des Zustandes oder der vorigen Liebe zu fragen. Ich kan nicht begreifen, wie so viele Stunden vorbey gestrichen, die wir mehrentheils einander als träumend angesehen. Zuweilen schiene sie mir viel zu sagen; Wenn ich aber mein Unglück in der Liebe beklagte, schwieg sie still, und ihre Thränen müßten mir erklären, daß ich Ursache mich zu beklagen, und sie Anlaß sich zu quälen habe. Endlich faßte mich so weit, daß, weil doch eine Unmöglichkeit verspürte, mein Vergnügen in einem andern Stande mit ihr zu finden, ich ihr unter Versprechung einer ewigen Freundschafft das Adjeu sagte. Sie versicherte mich, wiewohl mit ungemeinen Schmertzen, ein gleiches unaufhörliches Andencken, und fragte nur noch, wo denn meine Reise itzo hingehen sollen, daß ich sie zu ihrem Unglück wieder antreffen müssen? Ich berichtete, wie ich nach Engelland zu gehen, und mich so weit von ihr zu entfernen gesonnen, daß wir einander nicht mehr kräncken wolten. Sie reisen denn wohl, waren ihre letzten Worte, denn darauf drang eine solche Wehmuht aus ihrem Hertzen und Augen, die sie weiter zu sprechen hinderte, und ich a[n]zusehen incapabel war. Ich bin von ihr gegangen als ein Mensch, dem der Verstand benommen;|<1,207> Und nun reise ich, aber mit tausen neuen Martern nach Engelland.
Tyrsates war über dieser Anhörung recht zärtlich worden; Er umarmte dennoch Selandern, und fing an [...] <1: p.205-07>
Hier wird die Sache rasch eingerenkt, Tyrsates eröffnet, daß einer Heirat nichts im Wege steht und die ist nach anderthalb Seiten geschlossen, die Reise nach Engelland bleibt, nun ist es die in das Engel-Land der Liebe, einziger Verdruß ist darin die Trennung von Tyrsates - was den ersten Teil etwas abrupt beendet.
Satyrischer| ROMAN| Der| Galanten Welt| zur vergnügten| Curiosité| ans Licht gestellet| Von| MENANTES.| Ander Theil.| [Zierleiste]| Stade,| In Verlegung Hinrich Brummers,| Anno M. DCC. X.
Nur sehr knapp, Wunsch, der Leser möchte tugendsam lesen, zudem ein Wort zur Größe des Publikums - die Vorr. beginnt:
SO gern ein Autor seine Bücher sonst von tausenden will gelesen haben: so möchte doch fast wünschen, daß derselbe der Mühe bey diesem überhoben wäre. [...] <Bl.[]r>
So bleibt denn wahr, daß unter der dreyerley Art zu lieben, als auf Romanen, auf Eheliche, und auf liederliche Art, die erste die hefftigste, die andere die rarste, weil die edelste, und die dritte die gemeineste in der Welt sey, und daß, wenn Romanen-Liebe vollkommen, sie kindisch seyn müsse.
Man hat die Liebe einem Kinde verglichen, nicht darum, wie man aus wollüstiger Raison saget, weil ein Kind nur in die Mitten reichet, sondern weil Kinder-Ergetzen das gröste, und Kinderspielen das lieblichste.
Ein Kind, indem es wenige Vernunfft hat, nimmt an demjenigen grössern Theil, worauf seine Freude fällt; und ein äusserst Verliebter ist vor Entzückung ausser sich selbst, wenn seine Passion über die Vernunft gehet [...]. Kinder haben mit Kleinigkeiten ihren angenehmsten Zeit-Vertreib; und so findet auch ein Amant in Anrührung der Kinder-Sachen seiner Inclination, in Hände, Strümpf-Bänder-küssen, und so weiter, eine Süßigkeit, die die Herren Poeten in ihrem Götter Nectar niemahls angetroffen. Mütter lieben die Kinder überaus, die sich|<2,3> schön anschmeicheln können; und weil hierinnen die Verliebten denen Kindern den Vorzug streitig machen, so hält das Frauenzimmer ihre Amanten billig auch desto werter, je mehr es durch die geheime Empfindlichkeit, so ein Geschlecht vor das andere träget, und durch die natürliche Übereinstimmungen, von denen Manns-Personen geliebt zu werden wünschet; und weil Kinder leicht mercken, wodurch sie die Mütter gewinnen können, so erkennen Amanten um so viel mehr, wie keine Schwachheiten in der Welt zureichen, dadurch ihre Inclination nicht überzeugt zu werden verlangeten, wie sie Hertz und Vernunfft vollkommen in ihrer Gewalt haben.
Manns-Personen stifften ihre Freundschafft durch eine Affection, die auf die Æstim gegründet ist; aber Frauenzimmer gründet ihre Liebe auf kein ernsthaffte Tugend, sondern auf Zärtlichkeiten, Douceurs, Verpflichtungen, Schmeicheleyen, Ergebenheiten; und wenn man ihnen bekennet, wie man von ihnen besieget, wie man ein Sclave ihrer Anmuht, wie man viel zu ohnmächtig, ihren schönen Blicken zu widerstehen, so überwindet man sie durch Schwachheiten mehr, als durch Kräffte der Tugend. <2: p.2-3>
Seltsame Szenen im Eheleben Selanders: Da ist dieser Schereboy - er wird verglichen mit Tyrsates und ist annähernd ein so guter Freund - da werden die Unterschiede erwähnt, die bestehen in des Schereboy Verlangen nach größeren Gesellschaften. Betont ist, daß Selander gerne das Landleben geführt hätte und gar nicht klar ist, warum ausgerechnet die Sylvia in die Stadt wollte. Die Freundschaft zu Schrerboy entwickelt sich nicht nach Verlangen - Selander liebt es weder, sich zu besaufen, noch viel zu spielen. Er beschließt deswegen, wieder mehr zu Hause zu sein, und fragt seine Gattin, ob ihr das recht ist. Diese erteilt ihm eine eigenartige Abfuhr.
Sie aber wandte ein, daß sie sich nun auch Frauenzimmers Compagnie gewehlet, und die völlig zu verlassen, wäre wider den Wohlstand, darum muste er sich nach andern Freunden umsehen.
Ihr seyd mein nächster und bester Freund versetzte er, und also werde mich an euch halten, und euch einen Arrest in unserm Hause anlegen.
So erlaubet mir zum wenigsten drey halbe Nachmittage in der Wochen, bat sie ihn lächelnd; im übrigen will ich eure freywillige Gefangene seyn. <2: p.16>
Was im Anschluß erzählt wird, läßt den Leser eines ganz klar vermuten: Schereboy ist verliebt in Selanders Frau, deren Gesellschaften führen sie öfteren in seine Nähe - dann wird's noch haarsträubender: Nachrichten kommen, daß Tyrsates in der Nähe, Schereboy läßt sich nicht bereden, mitzukommen, um den Freund, von dem es gleich als nächstes heißt, er sei erschossen, zu suchen. Schereboy mimt eine Krankheit so schlecht, daß Selander sie als Ausrede eines in Liebesdingen verfangenen, ihm jedoch nicht ehrlichen, empfindet - auf die Idee, es gehe um Sylvia, kommt er jedoch nicht.
Die Wiederbegenung Tyrsates - Selander ist groß ausgespielt, beide ziehen in ein Weinhaus und dort ist Platz für:
Handlungsreiche doch in den Schilderungen sehr karge Erzählung: Tyrsates hält weiter beim Großvater der Asterie an, der wird weicher und weicher, gleichzeitig gibts diverse Bewerber, es stirbt dieser Vormund und es wird auf Tyrsates ein Attentat verübt - in Venedig heißt es er sei tot, tatsächlich jedoch hielt das Medaillon der Dame den Dolchstoß ab. Bei Asterie unterkommend und mit dieser die Flucht nach Deutschland planend spricht der Major vor - jener, den Tyrsates zu Venedig in Piratenhände practicirt hatte, er wird von Asterie als Mörder an Tyrsates beschimpft, verteidigt sich nicht und somit ist klar, wer's war (Tyrsates hört's im Schrank).
Die Verwandte der Asterie, Stellania, die überhaupt die Eheschließung mit dem Major so betrieb, arrangiert eine Entführung - man täuscht Asterie durch eine fingierte Warnung so sehr, daß diese sich auf einen gefährlichen Abweg begibt, und dort wird sie ertappt und nach Deutschland transprortiert. Ihr nach Tyrsates; er stellt den Major mit Verhaftungsbefehl in der Jungfern-Festung an der Elbe <2: p.35>, der Major hat sich aber schon verflüchtigt. Eheschließung Tyrsates - Asterie, auf dem anschließenden Fest erneutes Attentat auf Tyrsates, er überlebt wieder nur knapp und so, daß der Attentäter ihn für tot wähnt. Erstes Eheglück.
Asterie kann Sylvia und Schereboy (den sie aus Venedig kennt) belauschen - sehr pikante Szene: Asterie liegt im Bett, die Vorhänge zugezogen, just in dieses Zimmer führt die Magd den Schereboy, der auf Besuch hereinkam, und die Sylvia. Je hitziger es zwischen den beiden hergeht - heftiges Küssen - desto größer wird das Verlangen des Herren, sich in das Bett zu machen, in dem Asterie liegt.
Asterie ist ungemein tugendhafft und empfindet vor dem was da abgeht all den Abscheu, den die Dame des Hauses empfinden sollte. Erstaunlich ist freilich, warum der Obrist im ersten Teil so großmütig verzichtete, wenn er im zweiten desto heftiger sich versündigt. Da spielt auch keine Rolle mehr, wer die Sylvia im ersten Teil war: Heroine, die sich zu Tode härmte, ob der Skrupel ein Glück anzunehmen, das einen ersten stören könnte, den sie damals schon nicht mehr so sehr liebte wie Selander. Neuer Teil neues Glück. <2: p.49> Der Schereboy hebt zu einem Discours von der Legitimation seiner Untreue an - der Himmel würde sie nicht zulassen, wenn sie ihm nicht gefiele, zudem gibt es eine sehr libertinistische Komponente in diesem Diskurs: da wird vorstellbar, daß die Frau zwei Männer auf je gerechte Art lieben könnte:
Wir thun Mons. Selander keinen Eintrag, denn ihr liebet ihn so sehr, als mich, und nach dem Recht der Natur ist er so wohl eine Neben-Liebste, wie ihr eine Inclination zu wehlen befugt; so er vielleicht gethan oder noch thun würde, wo er in dir, mein Schatz nicht alle Annehmlichkeiten zusammen anträf, die er in andern einzelen findet. Und wenn wir unsere Art zu lieben geheim halten müssen, so geschicht es darum, der Opinion vieler einfältigen Leute, die durch die Pfaffen diese Sache sich tadelhafft machen lassen, ein Genügen zu thun, und den Wohlstand sonder Aergerniß zu beobachten. <2: p.50>
Asterie gesteht dem Gatten, was sie in der Ehe des Freundes beobachtet hat, der will sogleich den Freund rächen, sie jedoch holt ihn zu Besinnung und man beschließt Selander ersteinmal alles beizubringen. Hier nun fallen Worte über die Veränderung der Protagonistin Sylvia - Tyrsates spricht sie, den abwesenden Freund im Monolog beklagend:
[...] du bist der Allerunglückseligster von der gantzen Welt. Du hast zu einer Ehegattin, die du liebst, und die dich wiederum getreu liebet, deine gröste Glückseligkeit auf der Welt gesucht, und deswegen|<2,58> nicht nach Reichthum und dergleichen geheyrahtet, nun aber nährest du in deinem Busen eine falsche Schlange; statt deiner vertrautesten Freundinn auf der Welt, hast du heimlich die ärgste Feindinn; statt einer getreuen Gehülfinn, eine Betriegerinn, und statt einer ehrlichen Frauen eines andern Hure. Dein Unglück armer Selander, wird nun erst sonder gleichen werden, wenn mich die Freundschafft verpflichtet, es dir zu offenbahren; du wirst Sylvien von dir stossen, und Schereboy ermorden; und weil du der ersten den Ehebruch den Rechten nach nicht sattsam wirst beweisen können, so wirst du wegen des letzten müssen flüchtig werden, und wegen des ersten ein betrübter Wittwer bleiben. <2: p.58>
Anderntags lädt Tyrsates zu einem großen Mittagessen der beiden Paare incl. Schereboy und zudem incl. einer Freundin der Sylvia. Erwähnt wird, wer da bei der Begrüßung heuchelt und wer nicht (Selander, der betrogene, ist der einzige, der meint, was er sagt). Währenden Spiels nach dem Essen, kommt ein Brief aus Venedig an Tyrsates gerichtet - der Bericht, es sei Rosimeno nun von seiner untreuen Frau geschieden und im Stande, neu zu heiraten - Selander will wissen wer denn jener sei, Raum für eine Binnengeschichte: - Sie ist eingeleitet mit einem Exkurs über die Schwierigkeiten, die man als Freund damit hat dem Freunde die Untreue von dessen Frau zu offenbaren, so sehr riskiert man die Freundschaft dabei; eingesetzt ist die Episode wie im Hamlet das Binnenschauspiel - Kleinigkeiten sind geändert - so ist hier Sylvios Frau Doucimene im Bett der Messaline versteckt, um diese zu erschrecken - wobei sie eben das Stelldichein der Messaline mit dem Milo belauscht. Diesmal ist es die Coquette, die den Galan bittet, er möge etwas von der Untreue moralisieren, dahingehend, daß es eine solche nicht gebe. Die Sache wird noch dreister, da sogar das Essen, in dem Tyrsates gerade diese Geschichte erzählt in der Geschichte des Tyrsates auftaucht:
Allein Sylvio denckt ihm die Larve abzuziehen; dahero|<2,67> bewegt er die Gesellschafft, daß ein jeder eine Geschichte erzehlet; und wie die Reihe ihn trifft, so fänget er eine Historie an, die eben die von mir gemeldeten Umstände hat, und welche das Gewissen der Verbrecher in allen Stücken rührt. Hierüber wird Rosimeno nebst dem Fräulein Doucimenen hinaus geruffen, und da fängt der gute Freund zu dem Milo an: (hiemit wendete Tyrsates sein Angesicht auf Schereboy, der mit Sylvien bald roht bald blaß wurde.)
Eben dich, du Ehebrecher! du nichtswürdiger Cavallier! dich meyne ich, du bist derjenige, welcher meines liebsten Freundes Frau verführet, daß sie ihr Ehe-Bette befleckt. Daß sie ihren Mann, der sie so sehr liebet, betrieget und verunehret [...|<2,68>]
Der Monolog wird zunehmend aggresiv, nur einmal kommt nochmal die Sylvio-Fiktion auf, Schereboy wird aufgefordert den Ort zu verlassen und nie wieder sich blicken zu lassen. Asterie bringt den Erzähler in Zaum:
Asterie umarmte hierauf ihren Gemahl, und sagte: Sie ereyfern sich, mon cher, und es wird ihnen Schaden thun.|<2,69>
Es ist wahr, antwortete Tyrsates mit funckelnden Augen und feurigem Gesichte, ich ereyfere mich, und werde es noch mehr thun, wenn ich ein Ende daraus machen soll. Denn die Vorstellung des einem wehrten Freunde widerfahrenden Unrechts kräncket mich annoch empfindlich.
So will ich sie denn zugleich bitten, hub Selander an, es vor diesmahl bewenden zu lassen.
Einem so lieben Freunde zu Gefallen muß ichs thun, antwortete Tyrsates, und tranck ein Glas Wein auf Untergehen aller Ehebrecher Schereboy zu.
Ja sagte Selander, wo ich einen kennte, der meinen Freund auf so schändliche Art beleidigte, ich wolte ihm selber den Degen helffen durch den Leib jagen. Der Entschluß ist löblich, gab ihm Tyrsates Beyfall.
Inzwischen muste Schereboy, auf Anhalten des Tyrsates das ihm Zugebrachte Bescheid thun; und denn erzählte Tyrsates das übrige gantz kurtz, nemlich, daß sie beyde ertappt, und geschieden worden, wie er aus dem Briefe ersehen.
Selander aber bekam unangenehme Grillen; denn ob er gleich kein mißtrauisch Gemühte hatte, so schien ihm dennoch die Bestürtzung seiner Frauen und Schereboy, und der ausser ordentliche Eyfer des Tyrsates recht seltsam, Asterie merckte am ersten, daß er nachgrübelte, und aus der beyden Schuldigen Augen was erforschen wolte, dahero fing sie andere Discourse an, und bat die Gesellschafft im Spielen fortzufahren.
Das Spiel kommt nicht in Gang, eine andere anwesende Dame muß nach Hause, Schereboy bietet sich an, sie Heim zu geleiten - Gelegenheit für einen zweideutigen Abschied durch Tyrsates:
Tyrsates antwortete ihm, ich solte sie zwar, weil es noch gar frühe, länger zu bleiben nöhtigen, weil sie aber am besten urtheilen werden, ob es ihrer Commodität zuträglich, so will ihnen eine geruhige Nacht wünschen, und bitten, meine Reden und Erzählung zum besten anzuwenden.
Schereboy kann dem Tyrsates nur eine Reverentz erweisen. Der Abschied von Selander wird "verwirrt", höflich allein die Bitte ihn "aus Politic" wieder zu besuchen.
Wie nun Schereboy Sylvien das Adjeu sagen wolte, trat Tyrsates so nahe, daß sie nicht ein Wort heimlich reden könnten; darüber jener so confus ward, daß er fortging, ohne dem Fräulein Langestre die Hand zu bieten, um sie, seinem eigenen Anerbieten nach, zu führen. Dahero begleitete ihn Tyrsates bis an die Thür des Hauses, an welcher Schereboy sagte: Ich werde bald die Ehre wieder haben, sie zu sprechen.
Zu ihrem Mißvergnügen, versetzte Tyrsates; womit er die Thür zuschmiß, und das ihm entgegen kommende Fräulein mit diesen Worten in die Arme nahm: Ich lasse sie noch nicht, und solte ich sie hinauf wieder tragen.
Also muste das angenehme Fräulein wieder Gesellschafft mitmachen, und Selander ward dadurch verhindert, ein und andere Erklährung von Tyrsates aus-|<2,71>zubitten; welcher letztere, nach so bewerckstelligter Entfernung des Schereboy von so aufgeräumten Geiste wieder wurde, daß er sie bis auf Sylvien, welche sich darzu nur zwang, zur Lustigkeit bewegte.
Endlich bey Abschied nöthigte er Selandern, Langestren zu begleiten; und inzwischen begab er sich mit Asterien zu Ruhe, und war über diesen so weit gelungenen Streich wol zu frieden [...]
Die ganze Geschichte geht nicht den Gang, den sie als offenes Geheimnis gehen könnte - soll heißen, man trennt sich nicht entsprechend. Was stattdessen einsetzt ist eine bürgerlich anmutende Aktion in der Tyrsates die Scheidung seines Freundes auf sichere Füße stellt. Dazu nimmmt er Selandern den Eid ab, gänzlich frei verfahren zu dürfen und auch über Selanders Reaktion bestimmen zu dürfen. Selander schwört's, sodann geht Tyrsates systematisch vor: das Dienstmädchen bringt er mit Geld und Ankündigung der Straffreiheit auf seine Seite, es offenbart, wann das nächste Rendevous Sylvias mit dem Schereboy stattfinden soll: während der Kirche nächsten Sonntag, die Dame wird unpäßlich daheim bleiben. Tyrsates präpariert ein Loch in der Wand und sorgt dafür, daß auch ein Notar bei der inszenierten Belauschung anwesend sein wird. Zudem hat er sich durch Erbrechung des Sekretärs der Liebesbriefe unserer Dame bemächtigt und diese teils, um sicherzugehen und teils aus Curiosität abschreiben lassen. Der Notar kann bei der belauschten Begegnung des Paares gleich mitschreiben: Schereboy schlägt einen durch Sylvia zu bewerkstelligenden Giftanschlag gegen Tyrsates vor, man vermutet, Selander wisse noch nichts, das Gift hat er <2: p.78> dabei, Sylvia lehnt ab, und schweigt, da Schereboy die Italienische Lösung <2: p.79> (Mordanschlag) ins Spiel bringt.
<2: p.79> Als Selander mit dem Degen einschreiten will, springt Tyrsates ihm zuvor. Der Schereboy liegt nach Faustschlägen im eigenen Blut, die Sylvia mußte Tyrsates vor ihrem Gatten retten. Dem Selander wird die Ader geöffnet. Nach dem Gottesdienst gehts vor den Richter und der nun nimmt die Geschichte der geständigen Sylvia auf:
Diese Binnengeschichte referiert in 3. Pers Sg. was die Sylvia demnach zu Protokoll gab und darin auch schließlich die Begebenheiten aus dem ersten Teil des Romans. Die Nacherzählung ist sehr nüchtern, da nurmehr Faktisches und zuweilen eine Selander schützende Bewertung seines Tuns erzählt wird, taucht hier nicht mehr auf, wie die Sylvia sich über den vermeinten Tod des Obristen abhärmte:
Inzwischen kommt Zeitung, daß der Obriste tod sey, und die Leute glauben gäntzlich, Sylvia sey längst allen tadelhafften Wollüsten abgestorben gewesen; weswegen sie von Venedig abreiset, und da Selander gleichfalls nach Engelland zu gehen gesinnet, kommt es, daß an statt in diesem Lande seine beständige Wohnung mit seiner Liebsten aufzuschlagen, er mit Sylvien das Land, das ist, ein von allerhand verdächtigen Compagnien eingezogenes Leben wählet. <2: p.83>
Sylvia und Selander werden geschieden, ihr Kind kommt zu fremden Leuten. Schereboy wird entehrt und der Stadt verwiesen, Sylvia färbt sich die Haare und findet Anstellung am Florentinischen Hof. <2: p.84-85>
Nachfolgend umfangreich zitiert die Opernszene, die Selamintes 1713 wieder
Selander und Tyrsates gingen einst in die Opera, und wolten in Par Terre ihren Platz nehmen; allein die übrigen, die hier mehr bekannt, trugen kein Belieben darzu, die Ursachen waren: weil unter denen Cavalliers und andern ehrlichen Leuten vor dem Orchester so viele Jungen in grossen Paruqven hin und wie-|<2,88>der liefen, und bald jene Zoten von den Opern-Frauenzimmer plauderten, daß man in seiner besten Aufmercksamkeit offt gestöhret wurde. Setzte man sich nun auf die Bäncke, so fanden sich an einem ob wol so vollkommenen honnetten Orte Kupplerinnen und andere unehrbahre Krams-Vögel ein, die sich inzwischen so propre gekleidet, daß sie mancher vor was rechtschaffenes hielte, und die von solcher Freyheit, andere unaufhörlich zu Discoursen zu nöthigen, und sie dadurch zu incommodiren.
Demnach entschlossen sie sich, eine feine Loge zu wählen; welches denn kaum noch Zeit, sintemahl so vieler Zulauff von Personen war, daß sich endlich ein mangel daran eräugnete.
Die Ouverture ließ sich wohl hören, und bey Eröffnung des Theatri fiel ihnen viel angenehmes ins Gesicht. Das Frauenzimmer darinnen war theils schön, vortrefflich im Singen, annehmlich in Actionen, und an den Manns-Personen theils die Italiänische Delicatesse der Music und Stimme, an denen meisten was gutes, und an den wenigsten ein grosser Tadel; die Music hatte imgleichen viel schönes, artiges und liebliches in sich; dem Theatro fehlte eine hübsche Grösse und Höhe nicht, und die Verwandlung samt der gantzen Ausschmückung des Schau-Platzes waren wohl inventirt und propre, oder nach einer dasigen Theatralischen Art zu reden, von besonderer Magnificence.
Damit nun alles mit einander wohl accordire, hatte man eine lustreiche und charmante Tragoedie zur Materie dieser Opera genommen, deren Titul hieß:|<2,89>
Die zum Vergnügen der Zuschauer entblößte Schönheit.
Dieses erstreckte sich bis über die Helffte, der Schluß ward aber besonders titulirt:
Die zu beliebter Nachahmung entweyhete Keuschheit.
Der Poet, sagte Tyrsates hat den Titul recht wohl ausgesonnen, denn es werden wenige in Par Terre seyn, die zu guter Nachfolge nicht solten Appetit bey so schönen und natürlichen Vorstellungen bekommen.
Gewiß, antwortete ein anderer, das ist eine Ursache mit, warum ich gern in Logen stehe; denn neulich habe ich eben bey dieser Præsentation sehr viele in Par Terre, mit Erlaubniß, wie Hengst wiehern gehört, da sie von dem schönsten Opern- Frauenzimmer die Entblössung der Schönheit so ungezwungen, und den Anfang der Entweyhung mit so reitzender Weigerung vorstellen sahen. Sie würden wie ich besorgte, ohnfehlbar auf das Theatrum und an Stelle des Operisten, der das schöne Werck verrichten solte, gesprungen seyn, wenn ihnen in ihrer grösten Brunst nicht eingefallen, daß diese Schönheit sich nur auf dem Theatro nach der vorgeschriebenen Action richten müsse.
Eine rejouissante Aria unterbrach ihren Discours, nach deren Endigung sich ein schrecklich Hände-Klatschen erhub, ja noch was admirablers sich eräugnete; sintemahl von oben herab ein solcher Hauffen weisser|<2,90> und vergüldeter Billets fiel, als ob der Opern-Himmel welche schneyete.
Die Begierde, einen solchen Zettul zu haben, und zu sehen, was es zubedeuten, regte sich in einem jedweden; und war das Reissen darum so starck, daß sie um Geld verkaufft wurden.
Endlich bekamen unsere Cavalliers einen; da sie denn ein paar Verse auf ein Opern-Frauenzimmer, das im Singen vortrefflich war, folgendes Inhalts lasen:
Pour Mad. N.
Man sagte, daß die Music vom Himmel sey entsprungen.
Ja freylich, weil man jetzt auf Englisch hat gesungen.
Ein wenig hierauf hatte das Frauenzimmer, so die vorige entblößte Schönheit vorstellte, und dabey von nicht gemeiner Stimme und Lieblichkeit im Singen war, eine so genannte Klatsch-Aria zu recitiren; nach deren Endigung das Frolocken fast noch grösser, als bey der ersten, und die artigsten Billets wieder durch die Lufft flogen, welche so theuer gehalten worden, daß mancher Cavallier einen um einen halben Thaler bezahlte.
Tyrsates fand diese Zeilen darauf:
Pour Mad. N.
Wenn so viel Schönheit singt, und so viel Anmuht lacht,
So sagt man, daß Music aus Menschen Götter macht.|<2,91>
Drum wenn anitzo noch die alten Heyden wären,
Sie würden, Schönste, dich vor ihre Venus ehren.
Das letzte erwarb sich etwas mehr Beyfall, als das erste, vielleicht, weil die Person mehren gefälliger; und ob zwar beydes eine Schmeicheley, so wurden dannoch dergleichen Flatterien in der Poesi vor anständig gehalten. <2: p.91>
Die Aktion eskalliert, da das nächste Billet nun die nummero Zwei madig macht und dann eines folgt, das noch derber gegen die Nummer eins wettert. Tyrsates kommt auf einen Discours von den Poeten, lobt diese für ihre Einälle gerade auch bei eben gesungener Oper - spricht jedoch dagegen, daß die Billets von demselben Dichter stammen könnten, und hier weiß einer der Umstehenden auf den Librettisten zu verweisen:
[...] dort stehet er am Orchester bey des Juden seine Bude, und trincket Coffee.
Sie waren alle erschrecklich neugierig, ihn recht zu betrachten; Es ist doch gleichwol ein Wunder, hub Tyrsates gantz vergnügt hierüber an, daß in einer so kleinen und unansehnlichen Person so grosse und hoch regardirte Weisheit steckt!|<2,94>
Sie wendeten hierauf fast kein Auge von ihm, und wurden gewahr, wie er bald mit diesem, bald mit jenem redete; jetzt vor dem Orchester, und nun zwischen den Bäncken stunde, und discourirte; und das Par Terre, sans comparaison, wie ein Hüner-Hund durchkroch.
Was hat denn dieses zu bedeuten, fragte Selander, daß der Hr. Poet so sehr beschäfftiget bey den Leuten ist?
Er erklährt ihnen theils, was sie nicht verstehen, berichtete ein anderer, weiset anbey, wo eine schöne Passage kömmt, damit er sie zur Andacht beweget; und fraget sie ob ihnen die Opera nicht wohl gefallen?
Das ist rühmlich, versicherte Selander, denn bey so guten Unterricht werden viele in der Poesie geschickt werden. Und was die Gefälligkeit der Opern betrifft, so kan er niemahls anders als ein vollkommenes Ja kriegen.
Dieses ist auch sein einziger Recompens, berichtete der andere ferner, und so viele Ja er in Par Terre einsammlet, mit so vielen Ducaten hält er seine Mühe bezahlt.
Vor diesem haben sie so Geld-begierige Poeten gehabt, die mit dem Beyfall nicht allein zu frieden gewesen. Jedoch, wenn dieser Poet ein à! beste! bon! schön! das ist artig! Basta! und dergleichen höret, so taumeln die Verse heraus, und ins Opern-Haus hinein, daß er zu frieden wird, wenn sie solche auf vieles Bitten umsonst annehmen, um sie der Welt zu seinem unsterblichen Nachruhm zu communiciren.
Das ist recht, bekräfftigte Tyrsates, denn der Ruhm muß der Poeten einziger Sporn seyn, und wer diesen Vorsatz, wie unser Herr Poet, allein hat, der|<2,95> wird bald in allen Theilen der Welt ausgepfiffen, oder poetisch zu reden, ausgeblasen werden.
In diesem angenehmen und von der edlen Poesi handelnden Discoursen stöhrte sie die Stimme einer Weibs-Person, welcher zur Treppen hinunter polterte, und schrye: Der Schelm, die kleine Can. soll mich der eine Hure nennen? De Dyfel schal ehn halen? und was vor Schand-Wörter mehr aus einem tollen Weiber-Maule in die Furie heraus purtzelten.
Der Lärmen ging neben den Opern-Logen hinunter, daß fast ein jeder hinaus lief, um sich nach der Ursache zu erkündigen. Da erfuhren unsere Cavalliers, zu ihrer höchsten Verwunderung, daß dieses eine Person sey, von welcher der Poet einige schimpfliche Verse gemacht wie er sich denn derselben ausdrücklich gerühmt; dadurch sie der Eyfer vor ihr Renommée so eingenommen, daß sie sich eigenhändig an dem Poeten rächen wolte.
Diese Comoedie hub sich auch alsobald Par Terre an: sie lief als eine wilde Sau, der man die Jungen geraubt, unter die Leute, sahe sich nach ihren vermeynten Ehrenschändern um, und weil ihr der gute Mensch gleich entgegen kam, und vielleicht aus Par Terre auf das Theatrum gehen wolte, so that sie erst einen verzweiffelt schimpflichen Eingriff in dessen Reputation mit allerhand garstigen Tituln, hernach aber seine Paruqve, zerrete ihn die vom Kopff, und tapte mit ihren Händen wichtig auf seine kleine Nase, und sein subtiles Ingenium.
Ach Schade um den vortrefflichen Poeten-Kasten! klagten unsere Cavalliers überlaut, und rufften den|<2,96> Zuschauern, die zum Theil ein Plaisir daran hatten, so inständig zu, bis sie endlich, ohngeacht der Complaisance, die man vor ein Frauenzimmer hat, mit Gewalt Friede machten.
Das gantze Theatrum ward über den betrübten Zufall in der Besorgung bestürtzt, es möchte ihren Opern-Verfasser etwas an poetisirenden Geistern verrückt worden, daß ihre lustige Tragoedie einen traurigen Ausgang nahm. <2: p.96>
Die Stelle mit der erhofften Roman-Findung ist nicht besonders ausgestaltet, es handelt sich bei dem Exemplar, das da rumliegt um Cubachs Gebet-Buch, die Herren erfreuen sich ob der Widmung, die es zu einem Andenken an den Cavalier Dari macht, alles dient den langen galanten Discoursen danach.
Diese und dergleichen Possen nahmen sie mehr vor. Bey welcher Kurtzweil Selander das angenehme und galante Fräulein Langestre mit vielem Vergnügen bediente, und den Grund zu einer neuen und schönen Liebe legte. Sie mögen sich eine Zeitlang zusammen divertiren.
Vielleicht will der geneigte Leser gern was mehres von allen wissen. Ich kan ihn nichts weiters sagen, als daß ich noch niemahls grössere Lust gehabt, ein Buch zu schliessen, als bey diesem. Solte derselbe noch mehre Zeit zu lesen haben, so ist mir doch nicht ein Augenblick weiter zu schreiben übrig. Bey vielen andern Geschäfften verliert sich auch der Appetit zu romanisiren; und ich kan ihm unmöglich ausdrucken, wie ungern ich das Ende des 2ten Theils mache, weil ich habe|<2,144> anfangen müssen. Unsere Gedancken werden hier nicht einerley seyn; der aber allein wird mich entschuldiget halten, der mit mir zu frieden gewesen, wenn ich die Feder niemahls deswegen ergriffen; und dieses wäre unterblieben, wenn nicht das meiste schon vor etlichen Jahren unter Hände gerahten, die mich an das übrige zu dencken verpflichtet. Doch was bracht| es viel? ein Ende muß an allen Büchern seyn;| und hier ist es
ENDE.
Im Schriftbild ist die Ausg. (1710) sparsamer, große Buchstaben bleiben den Briefen vorbehalten, Anführungsstriche den Rand entlang werde genommen, die Ausg. (1710) spart damit Seiten.
Selander bekommt einen vorehelichen Beischlaf gestrichen - die Fäkalien bleiben, Scherzen ist erlaubt.
Arismenia wird Sylvia genannt (desgleichen nachher eine Caelia zu Flavia und eine Calpurnia zu Jucunda werden - (1710), p.161 übernimmt die neue Jucunda zudem den Part, den (1706) die Caelia beisteuerte).
Ein Liebesgeständnis der Arismenia - Ausg. (1706), p.113-14 wird in Ausg. (1710), p.93 gestrichen.
Aus der leichtlebigen Engländerin Ausg. (1706), p.134 ff. wird eine Französin und bei dieser werden Details gestrichen, so eine Kutschfahrt, auf welcher der heimlich aufsitzende Tyrsates Dinge hört über die man auch 1706 schweigt - ganz besonders schade ist es dabei um die Stelle Ausg. (1706), p.138, die die Fiktion Venedig - Hamburg noch weiter auflöste:
Nachdem nun Tyrsates ein paar Stunden in der Stadt mit auf und nieder gekutschet, und man sich einbilden muß, daß man damahls in Venedig mit Carossen überall herum gefahren, ließ er dieses verliebte Paar, das sonsten nicht allein zusammen können kommen, vergnügt nach Hause marchiren.
Eine freiere Passage wird Ausg. (1706), p.198-99 gekürzt, dabei verschmelzen an dieser Stelle Caelia und Calpurina von 1706, das wenige was von beiden bleibt kann in Jucunda von 1710 fortgeführt werden. Ausgetauscht wird der Block von Ausg. (1706), p.201-15, wo Tyrsates bei Caelia zu Gast eine Abwesenheit der Gastgeberin nutzt, sich deren intimes Kästchen unter den Nagel zu reißen, welches er dann bei seiner Asterie von Sternfeld, die benachbart wohnte, auskramte: zu Tage kam das Tagebuch. In der Ausg. (1710), p.163-72 wird eine kleine Comödie eingeführt, in der die Wirklichkeit und die gespielte Wirklichkeit recht nett zusammengeraten - s.o.